Es donnert. Der erste Regen seit zwei Wochen reinigt die Luft vom Staub. Vor knapp zwölf Stunden, gegen Mitternacht, fielen die letzten Schüsse – und mit ihnen auch der letzte von fünf Angreifern, die sich im Gästehaus einer internationalen Organisation verschanzt hatten.
Kurz nach 16 Uhr am Freitagnachmittag rumst es gewaltig. Die Tür zur Veranda springt auf. Im angrenzenden Stadtteil Char-e Naw, dort wo ich im Supermarkt einkaufe, wo ich vergangene Woche mit Kollegen Mittagessen war, hat sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gejagt.
Es ist ein sogenannter komplexer Angriff: Einer der Angreifer zündet die in einem mit Toyota verteckte Sprengladung. Dann stürmen mehrere mit Maschinengewehren und Panzerfäusten bewaffnete Rebellen durch das aufgesprengte Tor auf das Anwesen und verschanzen sich im Gästehaus und einer anliegenden Bank.
Kurze Zeit später sitze ich im Wohnzimmer und gucke BBC. Gerade sei eine Meldung über eine schwere Explosion in der afghanischen Hauptstadt hereingekommen. Lärm dringt an mein Ohr, den ich nicht einordnen kann. Ich gehe hoch auf die Veranda. Dumpfes Rattern wird von einzelnen, helleren Knallen unterbrochen.
Zwischen verschanzten Angreifern und afghanischen Sicherheitskräften ist ein heftiger Häuserkampf ausgebrochen. Es hört sich so an, als würde aus allen Rohren gefeuert. Westliche Truppen greifen bei solchen Anschlägen nicht mehr ein. Die Afghanen müssen selbst damit fertig werden.
Die Taliban bekennen sich zur Tat und geben an, bei dem Gästehaus handele es sich um eine CIA-Einrichtung. Es ist der schwerste Anschlag im Stadtzentrum seit die Taliban vor vier Wochen ihre Frühjahrsoffensive ausgerufen haben.
Ein sechs Jahre altes Kind, ein afghanischer Polizist und zwei nepalesische Wachen, die den Compound der International Organization for Migration bewachten, kommen um. Bis zu 14 Menschen werden verletzt.
Obwohl im Herzen der Stadt ein erbittertes Gefecht tobt, herrscht weiter Alltag. Im Hinterhof kreischt ein Kind, nebenan auf der Baustelle klopfen die Arbeiter weiter Steine, ein Moped rattert die Hauptstraße hinunter und am Himmel zieht eine Schar Haustauben ihre Runden.
Obwohl ein paar Straßen weiter die Gewehrläufe heißgeschossen werden, hat der Vorfall etwas beiläufiges. Ich habe mittlerweile Ausgangssperre. Eigentlich wollte ich mit Kollegen im Hauptquartier der ISAF ins Kino.
Obwohl ich mit der US-Army drei Wochen im Südosten Afghanistans war, ist es das erste Mal, dass der Krieg fast zum Greifen nahe ist. Der Gefechtslärm wird intensiver und ebbt wieder ab. Kleinere Explosionen sind zu hören, wahrscheinlich Handgranaten, gefolgt von kurzen Feuerstößen. Die Sicherheitskräfte räumen die Gebäude Zimmer für Zimmer.
Ich hole unsere hölzerne Fluchtleiter, schleppe sie in den ersten Stock und klettere auf den Dachboden. Die Dachluke zeigt genau in die Richtung, aus der der Gefechtslärm zu hören ist. Wenn ich dem Krieg begegne, will ich ihn auch sehen. Ich stecke meinen Kopf aus der Luke, höre das Rattern der schweren Maschinengewehre, aber zu sehen ist natürlich nichts. Jetzt heißt es warten, darauf, dass die Ausgangsperre aufgehoben wird.