Das Endspiel

taimani_street_kabulDer erste Tag des Jahres 1392 beginnt wie viele Tage zuvor: Ich werde vom Scheppern der mit Schutzfilm beschichteten Fensterscheiben meines Schlafzimmers geweckt. Mein Zuhause im Stadtteil Qala-e Fatullah liegt in der Flugschneise, die das Hauptquartier der Schutztruppe ISAF in Kabul mit der größten ISAF-Luftwaffenbasis Bagram 60 Kilometer weiter nördlich verbindet. Militärhubschrauber donnern im Tiefflug über die Stadt, aus Sicherheitsgründen immer im Doppelpack.

Die Afghanen feiern Nawruz, Neujahr. Die Winterpause ist vorbei. Das Thermometer hat die 15-Grad-Marke geknackt. Von hinter der blassgelben, drei Meter hohen Außenmauer des Anwesens dringt eine einfache Melodie durch Sichtschutz und Stacheldraht. Nachdem der letzte Schnee vor etwa zwei Wochen schmolz, haben die Eisverkäufer mit ihrer Frühjahrsoffensive begonnen. Mit einem Megaphon bewaffnet, manchmal selbst ein Eis schleckend, schieben sie ihre roten Kühlwägelchen die Straßen rauf und runter.

Das Wetter spielt in Afghanistan eine wichtige Rolle, nicht nur weil ein Großteil der Bevölkerung auf dem Land lebt und direkt von der Landwirtschaft abhängig ist. Im Frühjahr, wenn die Pässe der Gebirgsausläufer, die Afghanistan von seinem Nachbarn Pakistan trennen, wieder überquert werden können, nimmt auch der Kampf der Aufständischen wieder an Fahrt auf. Sie infiltrieren das Land aus ihren Rückzugsgebieten in Pakistan.

Ein amerikanischer Journalist sagte mir neulich, er wundere sich, dass die Taliban noch nicht im großen Stil zugeschlagen hätten. Nicht, dass sie es noch nicht versucht hätten: Erst vergangene Woche stellte der afghanische Geheimdienst NDS im Westen Kabuls einen Lastwagen mit acht Tonnen Sprengstoff sicher. Die Bombe hätte gleich mehrere Blocks dem Erdboden gleich machen können.

karsai_on_a_wallHoffnungsvoller Fatalismus

Die Stimmung in Kabul wabert irgendwo zwischen Hoffnung und Fatalismus. Die kommenden zwei Jahre sind entscheidend für Afghanistan. Nächstes Jahr findet erstmals seit dem Fall der Taliban ein Machtwechsel statt, ein neues Staatsoberhaupt wird gewählt. Präsident Hamid Karsai darf nach zwei fünfjährigen Amtszeiten nicht wieder antreten. Einen aussichtsreichen Anwärter auf das höchste Staatsamt gibt es noch nicht.

Im Dezember 2014 nach unserer Zeitrechnung endet dann auch die ISAF-Mission und die Truppensteller werden ihre Soldaten ganz abgezogen haben, oder wie im Falle der USA und Deutschlands ein Kontingent zurücklassen, dass dann nur noch die afghanischen Soldaten ausbilden und unterstützen soll. Ein paar Staaten, wie etwa die USA, Großbritannien und Neuseeland, wollen zusätzlich noch ein paar Spezialkräfte stationiert lassen, sollte die Al-Kaida doch noch ein Comeback planen.

Im weiterhin unruhigen Süden des Landes sitzen die westlichen Soldaten jetzt schon den Krieg aus, bewegen sich nicht mehr aus ihren Lagern heraus. “Wir haben unser Profil soweit reduziert, dass wir keine Kampfhandlungen mehr durchführen”, sagte Brigadier Robert Bruce, der Oberkommandierende der britischen Truppen in der Provinz Helmand, der BBC. Anfang der Woche gab die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt bekannt, dass Dänemark die Hälfte seiner Truppen ein Jahr früher abziehen werde, diesen August sollen sie Helmand verlassen.

Bereits jetzt sind die in Windeseile auf mehr als 350.000 Mann aufgestockten afghanischen Sicherheitskräfte in den meisten Landesteilen für den Schutz der Bevölkerung verantwortlich. Der Sprecher des afghanischen Innenministeriums, Ghulam Siddique Siddiqui, sagte auf einer Pressekonferenz in Kabul, die Zahl der getöteten afghanischen Polizisten sei für das vergangene Jahr auf 1.800 gestiegen, hinzu kämen etwa 3.000 Verletzte. Das afghanische Verteidigungsministerium verzeichnete seinerseits fast 1.200 getötete Soldaten. Zum Vergleich: 2012 wurden mehr als 400 ISAF-Soldaten getötet, dieses Jahr kamen bisher 21 um.

Schwindendes Interesse

Gerade jetzt, wo Afghanistan in die entscheidende Phase der Selbstständigkeit tritt, schwindet das Interesse des Westens mit jedem ISAF-Soldaten, der das Land verlässt. Trotz des herannahenden Endes des militärischen Engagements hat die Bundesregierung zugesagt, dass sie Afghanistan bis 2016 mit mindestens 430 Millionen Euro im Jahr weiter unter die Arme greifen wolle. Afghanistan ist weiterhin der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe.

Es macht sich dennoch das Gefühl breit, nur noch Schnee von gestern zu sein. Wie schnell das mediale Interesse an einem Land schwindet, wenn keine westlichen Truppen mehr dort stationiert sind, verdeutlicht der Irak. Erst in den vergangenen Tagen, an dem der Beginn der Invasion am 19. März 2003 sich zum zehnten Mal jährte, nahm die Berichterstattung vorübergehend wieder zu.

Da ist es schön, dass wenigsten das Astrologische Institut Afghanistans gute Nachrichten zu vermelden hat: In einem Exklusivinterview mit der Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News sagte der Vorsitzende des Instituts, Dr. Muslim Jamal, der Jahreswechsel habe eine Periode des Wohlstandes für die ganze muslimische Welt eingeläutet, vor allem aber für Afghanistan. Viele Probleme würden gelöst werden. Er forderte die Afghanen dennoch auf, für ihr Land zu beten.

Die Zukunft Afghanistans steht in den Sternen, wer sie deuten kann, ist klar im Vorteil!