Der Krieg in Baburs Garten*

baburs_gartenIm Juli nähert sich das Quecksilber der 40-Grad-Marke. Staub und Smog tünchen die Dreimillionenmetropole in ein gelbliches Licht. Zerbeulte und zerkratzte Toyota Corollas, das Auto der Wahl der Kabulis, pusten Abgase in die Luft. Die, ohne eigenes Gefährt, quetschen sich in Mitsubishi-Kleinbusse und müssen achtgeben, nicht aus den offenen Schiebetüren zu fallen. Dazwischen drängeln sich die Ford-Pritschenwagen von Polizei und Armee.

Fahrspuren und Markierungen gibt es nicht. Kreisverkehre werden auch in der Gegenrichtung umfahren. Falschfahrer gehören auf vierspurigen Schnellstraßen dazu. Fußgänger kreuzen, ohne auf den Verkehr zu achten, die Straßen. Fahrradfahrer kennen keine Angst vor den Fendern der Geländewagen. Der Versuch, Ampeln einzuführen, blieb ohne Erfolg: Das Konzept leuchtete den Kabulis nicht ein: Schaulustige stiegen aus ihren Wagen, um die Ampeln zu bestaunen und verschlimmerten das Verkehrschaos zusätzlich.

Einrichtungen der Schutztruppe ISAF, ausländischer Hilfsorganisationen und afghanischer Ministerien sind mit hohe Mauern und Stacheldraht eingefasst. An den Eingängen stehen Wachposten hinter Sandsäcken, vermummt und mit Schnellfeuergewehren im Anschlag. An den großen Kreuzungen parken gepanzerte Geländewagen der Nationalarmee, mit schweren Maschinengewehren auf den Dächern. Ausländer wohnen in Safe Houses, mit Panic Rooms, von privaten Sicherheitsmännern mit umgehängten AK-47s und umgeschnallten Magazingürteln bewacht.

Während sich die Ausländer, Diplomaten oder Angestellte von Hilfsorganisationen, in pittoresken Gartenrestaurants wie dem ‘Sufi’ oder dem ‘Flower Street Café’ treffen, in denen ihre Begleiter ihre Pistolen am Eingang lassen, gibt es für die einfachen Kabulis nur wenige Rückzugsorte, um dem Chaos und der Gefahr zu entfliehen. Einer dieser wenigen Orte ist der Garten Baburs.

baburs_garten_2Der Schein trügt

In der größten Grünanlage Kabuls, am Rande der Stadt, zwitschern die Vögel, der rasen steht gut gesprengt in saftigem Grün, Grüppchen sitzen unter Bäumen und plaudern. Es ist ein magischer Ort, der Ruhe und Frieden ausstrahlt, in dem kein Müll liegt, kein Lärm zu hören ist und das Kabul des Staubes und Stacheldrahts weit entfernt scheint. Für ein Paar Afghanis hat hier jeder Zutritt.

Habibi Wahid lebt Hamburg. Zusammen mit seinem achtjährigen Sohn und seiner 14-jährigen Tochter verbringt er seiner Frau zuliebe die Ferien in Kabul bei den Schwiegereltern. Habibi trägt einen weißen Schalwar Kames, darüber eine Weste, die traditionelle afghanische Tracht. Niemandem soll auf den ersten Blick auffallen, dass er im Ausland lebt, er hat Angst, ihm könnte sonst etwas zustoßen.

Er floh 1991, noch bevor die Taliban an die Macht kamen, nach Deutschland. Er ist 36 und kommt ursprünglich aus dem Westen des Landes, aus Herat. In Hamburg machte er sich als LKW-Vermittler selbstständig, der für afghanische Klienten nach gebrauchten Lastwagen in Deutschland sucht und sie über den Landweg nach Afghanistan exportiert.

Die Kinder freuten sich zwar, ihre Großeltern zu sehen, aber er sei hier nicht mehr zuhause. “Die Taliban machen hier einfach, was sie wollen!”, entrüstet er sich. Afghanistan sei ihm nicht mehr geheuer. Er sei zwar im Urlaub hier, aber entspannen könne er sich nicht. Seine Kinder könnten nur in Begleitung auf die Straße. Er werde nie wieder hierher zurückziehen. “Der Schein im Park trügt, 100 Prozent!”.

baburs_garten_3Die falsche Frisur

Kaiser Babur ließ die Gartenanlage Anfang des 16. Jahrhunderts anlegen. Seine Gebeine liegen in einem Mausoleum aus Marmor auf dem Gelände hinter einer Moschee. Der Park wurde während der sowjetischen Invasion und der Herrschaft der Taliban zerstört und von 2002 bis 2005 von der Aga-Khan-Stiftung, mit deutscher Unterstützung, wieder aufgebaut. Die UNESCO nahm den Park 2009 vorläufig ins Weltkulturerbe auf.

Mohammed Rafi ist mit seinen Freunden im Park. Er ist 18 Jahre alt und wohnt ganz in Nähe in einem Schulheim. Nach dem Unterricht kommt er oft hierher. Wenn der Ramadan Ende Juli beginnt und die Schule aus ist, wird er einen Englischkurs belegen. Er ist im letzten Jahr der Oberschule und das Ergebnis seines Eignungstests für die Universität wird hoffentlich gut genug sein, dass er Recht und Politik studieren kann.

Zum Ramadan würde er gerne seine Familie in Nuristan im Osten des Landes besuchen. Er vermisse seine Mutter und seine sieben Brüder, habe oft Heimweh. In Nuristan sei das Klima viel angenehmer als in Kabul. Aber auf der Straße nach Hause lauerten die Taliban. Immer wieder komme es zu Überfällen. Im glimpflichsten Fall würden sie ihm den Kopf scheren, denn er trägt mittellanges Haar – eine Frisur, die den Gotteskriegern als verwestlicht aufstößt.

baburs_garten_4Lohn der Gefahr

Die etwa elf Hektar große Parkanlage liegt im Südwesten der Stadt und ist einer der wenigen Orte in Kabul, an dem offen geflirtet wird. Mädchen in High Heels lassen ihre bunten Kopftücher verrutschen und werfen den Jungs kesse Blicke zu. Kinder klettern auf die Haselnuss- und Kirschbäume oder planschen in den Bewässerungskanälen. An Kiosken im Schatten der Bäume wird Saft und Tee serviert.

Mohammed Sami ist 22 Jahre und grüßt lässig mit einem “Hey Guys!” und einem entsprechenden Handzeichen. Er spricht fließend Englisch, trägt ein bedrucktes T-Shirt, Kettchen und Turnschuhe. Mohammed kommt aus Kabul und ist das erste Mal seit drei Jahren wieder im Park. Aber er langweile sich, sagt er mit einem Lachen. Er habe zwangsläufig frei, sei im Rehaurlaub. Als Dolmetscher sei er im Süden des Landes den US-Special-Forces zugeteilt gewesen.

Bei einem Feuergefecht in der Provinz Helmand habe es ihn erwischte. Er sei am Knie, Bein und am Rücken verletzt worden. Mit seinen Brüdern flaniert er durch den Park und seine Wunden können seine Laune nicht trüben. Im Gegenteil, er wolle so schnell es gehe wieder zurück. Bei den Amerikanern verdiene er 1.500 bis 2.000 Dollar im Monat. Seine Familie mache sich zwar manchmal Sorgen, aber er habe keine Angst. “Ich mag es”, sagt Mohammed.

baburs_garten_6* Diesen Text verfasste ich während eines Besuchs in Kabul im Juli 2012