Der Sonntag ist der erste Arbeitstag der Woche in Afghanistan – zumindest bei den Westlern. Heute Morgen standen wir im Büro um einen Konferenztisch herum, während eine Kollegin, die ihren Abschied feierte, eine riesige Sahnetorte zerschnitt.
Nacheinander piepten und vibrierten die Handys der Anwesenden: Damit alle immer auf dem neuesten Stand sind, bekommen wir Kurznachrichten zu jeder Gefahrenlage.
Es gab bereits Ankündigungen zu Demonstrationen, von denen man sich fernhalten solle. Ein anderes Mal informierte eine SMS darüber, dass die Polizei am ‘Ring of Steel’, einer Reihe von Kontrollposten um das Regierungs- und Botschaftsviertel, verstärkt Ausweise kontrolliere und man seinen nicht vergessen solle, um Ärger zu vermeiden.
Doch die Nachricht von heute Morgen war ernster: Zunächst kam durch, dass etwa zehn Minuten Autofahrt vom Büro, innerhalb des stählernen Rings, Schüsse gefallen seien. Alle Fahrten durch den Polizeidistrikt 10 seien verboten. Dann wurde gemeldet, dass die afghanischen Sicherheitskräfte einen Autobombenanschlag vereitelt hätten. Der Fahrer des Wagens sei erschossen worden.
Ziel des Angriffs sei ein Gästehaus des Geheimdienstes gewesen. Der Täter sei in einem mit Sprengstoff bepackten Toyota Prado bis vor das Gebäude gefahren. Er habe es womöglich sogar noch geschafft, den Auslöser zu drücken, nur explodiert sei die Bombe nicht.
Es blieb unklar, ob es sich um einen Einzeltäter handelte. Von zwei weiteren Selbstmordattentätern zu Fuß war die Rede, die angeblich fliehen konnten. In den Provinzen Logar und Nangarhar kamen heute sieben Menschen bei ähnlichen Anschlägen um.
Der Vorfall bestätigt einen Trend, wonach sich die Angriffe mit der Übernahmen der Sicherheitsverantwortung durch die Afghanen auch vermehrt gegen einheimische Ziele richten, vor allem gegen Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte in Kabul. Der Angriff und die Art von Sprengstoff ähnelten der Bombe, die am 16. Januar vor dem Hauptquartier des Geheimdienstes detonierte.
Der versuchte Anschlag konnte der Stimmung im Konferenzraum keinen Abbruch tun. Es wurde gescherzt, jeder bekam ein Stück pappsüßen Kuchen und kurze Zeit später zogen sich die Kollegen in ihre Büros zurück.
Ein Gefühl der Angst oder unmittelbaren Gefahr kam nicht auf, auch wenn sich der Vorfall nur ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt abspielte. Hinter den mit Stacheldraht gesäumten Mauern wähnt man sich so sicher, wie in Deutschland vorm Fernseher.
Paradoxerweise ist man gerade hier in Kabul, wo es so viele sogenannte High Profile Targets gibt, tatsächlich relativ sicher: Wenn sich die Attentäter schon die Mühe machen, ganz bis ins Stadtzentrum Kabuls vorzudringen, dann muss sich das Ziel auch lohnen. Hier fällt man eher in die Kategorie Collateral Damage.