Donnerstagnacht rufe ich einen Wagen, um ins Stadtzentrum zu fahren. Der gepanzerte Jeep kriecht über die Schlaglochpisten, die im Scheinwerferlicht noch zerklüfteter wirken als bei Tag. In Kabul sind lediglich die Hauptstraßen asphaltiert. Wir fahren an hohen Mauern mit eisernen Toren vorbei. Ich schaukle auf dem Beifahrersitz hin- und her.
Wenn es dunkel wird, spaziert hier niemand mehr durch die Nebenstraßen. Die Dreimillionenmetropole Kabul wirkt wie ausgestorben. Die einzigen Menschen auf der Straße sind vermummte Polizisten, die an den Hauptstraßen mit umgehängter Kalaschnikow sporadisch Autos anhalten und die Insassen kontrollieren.
Ziel meiner nächtlichen Reise ist das ‘Gandamak‘, ein Gästehaus, das von einem britischen Journalisten betrieben wird. Zum ‘Gandy’, wie es von den Expats genannt wird, gehört auch die Kellerspelunke ‘Hare and Hound’. Wer dorthin will, steigt an einer nichtssagenden Toreinfahrt aus, vor der um diese Uhrzeit schon mehrere Jeeps parken.
Knarre oder Messer?
Ich lasse die schwere Tür des gepanzerten Wagens hinter mir zufallen. Klopfe an das rote Tor. Eine kleine Luke öffnet sich und ein Paar Augen starrt mich an. Das Tor geht auf. In der Einfahrt sitzen drei wüst aussehende Wachen. Der mit Sturmgewehr fragt, ob ich ein Messer oder eine Pistole habe. Ich werde Abgetastet.
Ein paar Meter weiter die Einfahrt entlang summt eine Stahltür. Ich stoße sie auf und trete in einen winzigen Raum, mit einem kleinen Loch in der Wand auf Brusthöhe, das mit Gitterstäben gesichert ist. Der Mann dahinter nimmt meinen Ausweis entgegen und ich bekomme einen Chip mit einer Nummer drauf.
Das Schloss einer zweiten Stahltür summt. Im Innenhof kaufe ich mir zwei Hefte mit Coupons im Wert von insgesamt 40 Dollar und muss noch auf einem Zettel dafür unterschreiben. Der Liste nach zu urteilen sind schon recht viele Besucher hier. Ein weiterer Wachmann mit Kalaschnikow wünscht mir einen schönen Abend.
Ich durchschreite den spärlich beleuchteten Innenhof, steige ein paar Stufen hinab, ziehe den Kopf ein und schiebe eine schwere Holztür auf. Im Halbdunkel sitzen mehre Nachtschwärmer an der Bar. Dicke Holzbalken tragen eine niedrige Decke.
Der Raum wirkt beengt. An den dunkelrot gestrichenen Wänden hängen gerahmte Drucke, die von der ehemaligen Seemacht Großbritannien erzählen. Hinter der Theke steht ein aufgepumpter Afghane und reißt Coupons im Wert von zehn Dollar aus einem meiner Büchlein. Er schiebt eine 0,33-Liter-Dose Heineken über den Tresen.
Hier gibt es Heineken, Becks und Stella Artois, Whiskey, Wodka und Jägermeister. Im Vergleich zu anderen Restaurants und Cafés in der Stadt, wirkt das ‘Gandy’ wie eine verruchte Spelunke. Dass hier mit Spielgeld bezahlt wird, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es hier sonst schnell zu Scherereien käme.
In der Mehrzahl hängen hier britische oder amerikanische Contractors herum, unter ihnen viele ehemalige Soldaten, die nun für private Firmen oder NGOs arbeiten. Die meisten sind in Afghanistan, um einen schnellen Dollar zu machen. Das Publikum ist extrem Fotoscheu. Feinde will ich mir hier keine machen.
In einer Ecke steht eine Gruppe Afroamerikaner, die auch zur Besetzung der Serie ‘The Wire‘ gehören könnten. Ein breitschultriger Zweimeterhüne wippt zum Westcoastrap, der aus der Box hinter ihm dröhnt, und bläst Zigarrenrauch gegen die Decke.
Der Sündenpfuhl
Das ‘Hare and Hound’ wirkt wie der Inbegriff des Sündenpfuhls, in dem der Unmoral und Dekadenz gefrönt wird, für die die westliche Welt verdammt wird: Laute Musik, Alkohol, Zigaretten und Mädchen, die nicht mit ihren Reizen geizen. Von kultureller Sensibilität kann hier keine Rede sein. Allerdings ist dieses auch eine hermetisch abgeschottete Welt, in die nur einige wenige Afghanen vordringen.
Ich komme mit einem Kanadier aus Ottawa ins Gespräch, ein ehemaliger Soldat und nun Privatangestellter, der für die westlichen Militärs sogenannte Psy-Ops macht. Gerade heute war er los, um dem organisierten Verbrechen auf die Spur zu kommen, um die Kabuler Unterwelt der Afghanen kennenzulernen.
Er und sein Übersetzer seien losgezogen, um das Geldwechselgewerbe genauer unter die Lupe zu nehmen. In Kabul kann man an jeder Ecke Dollar, Euro und Afghanis tauschen. Das lukrative Geschäft sei fest in der Hand der Mafia – heißt es.
Zu meinem Entsetzen erzählt er auch, dass er sich auf seinen Erkundungstrips als Journalist ausgebe. Ein solches Vorgehen macht es für echte Journalisten noch schwerer, ihrer Arbeit nachzugehen. Journalisten bekommen so einen schlechten Ruf. Da geschieht es ihm recht, dass er mit seinen Recherchen nicht vorankam, denke ich.
In Kabul läuft einiges anders und vieles falsch. Im ‘Hare and Hound’ scheint es, dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht nur dazu da sind, die Besucher von den Gefahren der Außenwelt abzuschotten, sondern auch dazu dienen, den westlichen Lebenstil einzudämmen, damit er nicht um sich greift. Ich trinke meine vier Bier für 40 Dollar und mache mich im gepanzerten Auto auf nach Hause.